Einige der Krankheiten oder Ursachen, an denen sie sterben, existieren in Luxemburg und anderen Hocheinkommensländern nicht mehr,
- wo Impfprogramme die mit bestimmten Krankheiten verbundenen Sterblichkeitsraten erheblich reduziert und in einigen Fällen sogar ganz eliminiert haben,
- wo effiziente Wasserversorgungs- und Abwassersysteme sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben,
- wo die Rückerstattung von Medikamenten die Begünstigten nicht verschuldet oder dazu zwingt, aus Angst, in Armut zu verfallen, auf Behandlungen zu verzichten (mit Ausnahme von ausgegrenzten Menschen, insbesondere Migranten, die durch eine allgemeine Gesundheitsversorgung unterstützt werden müssten)
- und wo die Dichte der Gesundheitsinfrastrukturen und qualifizierten Humanressourcen die Patientenversorgung, selbst für sehr technische und spezialisierte Eingriffe, begünstigt.
Die Erfahrungen der einkommensstarken Länder und der Teams von Ärzte ohne Grenzen in über 70 Ländern zeigen, dass viele der Millionen jährlichen Todesfälle von Kindern in Entwicklungsländern mit bewährten Lösungen wie Impfkampagnen, Zugang zu sauberem Trinkwasser, erschwinglichen Medikamenten und einer Grund- und Spezialversorgung verhindert werden könnten.
1) Eine Epidemie muss nicht unbedingt tödlich sein
Jedes Jahr sterben Millionen von Menschen an vermeidbaren oder leicht behandelbaren Infektionskrankheiten. Ansteckende Krankheiten mit epidemischem Potenzial sind nach wie vor weltweit die häufigste Todesursache bei Kindern im Alter von 1-59 Monaten.
Cholera-, Masern- und Gelbfieber-Epidemien* können sich schnell ausbreiten und Todesopfer fordern, und sie stellen ein besonderes Risiko dar, wenn die Lebensbedingungen schlecht sind. Malaria ist in über 100 Ländern endemisch**. Millionen von Menschen leben mit HIV/AIDS und Tuberkulose und benötigen eine angemessene Behandlung.
Die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen sind in Epidemiegebieten auf der ganzen Welt an vorderster Front im Einsatz, um Patienten zu behandeln, die gefährdetsten Menschen zu impfen und die Erregerübertragung zu verhindern. Alle Projekte zusammengenommen, machen Kinder 60 Prozent der Patienten aus, die von den Teams von Ärzte ohne Grenzen behandelt werden.
2019 waren unsere Teams unter anderem mit schweren Masernausbrüchen in mehreren Ländern, beispielsweise in Kamerun, Nigeria, Tschad und im Libanon, konfrontiert, die Tausende von Todesopfern gefordert haben. Mit 310.000 Infizierten und rund 6.000 Todesfällen - drei Viertel davon waren Kinder unter fünf Jahren - war die Demokratische Republik Kongo (DRK) am stärksten betroffen.
Kinder sollten nicht an einer vermeidbaren Krankheit wie Masern sterben. Im Gegensatz zum neuen Coronavirus gibt es seit Jahrzehnten einen Masernimpfstoff, und wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Kinder Zugang dazu haben.“
Adelaide Ouabo, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen
Die schlimmste Masernepidemie der Welt
Seit Mitte 2018 wütet in der Demokratischen Republik Kongo eine Masernepidemie von bisher ungekanntem Ausmaß. Ärzte ohne Grenzen hat in 16 Provinzen Überwachungsaktivitäten, Massenimpfkampagnen und die Behandlung komplizierter Fälle durchgeführt. Unsere Teams haben über 679.500 Kinder geimpft und rund 48.000 Kinder in unseren Einrichtungen behandelt.
Masern können durch Impfung vermieden werden, aber die Unfähigkeit, in allen Gesundheitsbezirken Routineimpfungen durchzuführen, und der Rückstand bei der Organisation von Aufholkampagnen erklären zum Teil die Virulenz dieser Epidemie. In der DR Kongo tragen mehrere Faktoren zur geringen Durchimpfungsrate bei: der Mangel an Impfstoffen und Impfpersonal, der fehlende Zugang zu Gesundheitseinrichtungen sowie logistische Schwierigkeiten, beispielsweise der Transport. Darüber hinaus hat das gleichzeitige Auftreten von Masern- und Ebola-Epidemien die Reaktion erschwert.
Wer ist am meisten gefährdet?
Epidemien können selbst die solidesten Gesundheitssysteme belasten, aber das höchste Infektionsrisiko haben vor allem diejenigen, die in Armut oder in Gebieten mit hoher Instabilität leben. In einem solchen Umfeld sind die Lebensbedingungen prekär. Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist bei weitem nicht für alle Bedürftigen gewährleistet, und Routineimpfungen werden häufig unterbrochen oder eingeschränkt.
Ein Beispiel ist das Wiederaufleben der Diphtherie, einer Krankheit, die in vielen Teilen der Welt dank der Impfanstrengungen selten geworden ist, aber Ende 2017 in den Flüchtlingslagern in Bangladesch wieder aufgetaucht ist. Die Rohingya, die nach ethnischer Gewalt gegen ihre Gemeinde in Myanmar nach Bangladesch geflohen sind, waren in ihrem Heimatland weitgehend von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Infolgedessen wurden viele Rohingya nie geimpft, und daher sind sie anfälliger für Krankheiten wie Diphtherie geworden.
Die Bedürfnisse der Patienten
In bewaffneten Konflikten erhöht die vollständige oder teilweise Zerstörung von Gesundheitsinfrastrukturen das Risiko einer schweren Epidemie. Im kriegsgeschüttelten Jemen, wo das Gesundheitssystem zusammengebrochen ist und zahlreiche Krankenhäuser bombardiert wurden, sind Epidemien aufgrund schlechter Abwassersysteme, des Mangels an sauberem Trinkwasser, Impfstoffknappheit und Lücken in den Routineimpfprogrammen weit verbreitet. 2019 bekämpften unsere Einsatzkräfte Ausbrüche von Cholera, Masern, Diphtherie und Dengue-Fieber.
Wenn auf Epidemien nicht angemessen reagiert wird, kommt es zu einer überhöhten Zahl von Todesfällen, die entweder in direktem Zusammenhang mit der ausgebrochenen Krankheit stehen oder auf den verschlechterten Gesundheitszustand der Bevölkerung infolge der Epidemie (z. B. erhöhte Unterernährung nach einer Masernepidemie) zurückzuführen sind.
Damit eine Reaktion auf einen Ausbruch wirksam ist, muss sie sich auf die Bedürfnisse der Patienten und der betroffenen Gemeinschaften konzentrieren.
Eine rasche Reaktion kann die Zahl der Menschen, die sich infizieren und an der Krankheit sterben, deutlich verringern.
Impfungen sind nach wie vor eins der wirksamsten Mittel zur Verhütung tödlicher Krankheiten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation können beispielsweise durch die Verabreichung der von der WHO und Ärzte ohne Grenzen empfohlenen Impfstoffserie jedes Jahr 2 bis 3 Millionen Todesfälle verhindert werden. Dazu gehören derzeit die Impfstoffe BCG (gegen Tuberkulose) und DTP (gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten), der Pneumokokken-Konjugatimpfstoff sowie Impfstoffe gegen Polio, Hepatitis B, Haemophilius influenzae Typ b (Hib), Rotavirus, Masern, Röteln, Gelbfieber und humanes Papillomavirus, wobei nicht überall alle Impfungen empfohlen werden.
In Ländern, in denen die Durchimpfungsrate im Allgemeinen niedrig ist, bemüht sich Ärzte ohne Grenzen darum, im Rahmen der Programme zur medizinischen Grundversorgung bei Kindern unter fünf Jahren Routineimpfungen durchzuführen. Die Impfung ist auch ein wichtiger Teil der Reaktion von Ärzte ohne Grenzen auf Masern-, Cholera-, Gelbfieber- und Meningitis-Ausbrüche. Bei humanitären Krisen, die häufig zur Vertreibung der Bevölkerung oder zu einer raschen Verschlechterung der Lebens- und Gesundheitsbedingungen führen, organisiert Ärzte ohne Grenzen Massenimpfkampagnen, um die Belastung von Krankheiten, die durch Impfstoffe vermieden werden können, zu verringern und das Risiko von Epidemien, insbesondere Masern oder Cholera, zu reduzieren.
* Unter einer Epidemie versteht man einen - oftmals plötzlichen - Anstieg der Zahl der Krankheitsfälle über das Niveau, das normalerweise in einer bestimmten Bevölkerung und einem bestimmten Gebiet erwartet wird.
** Endemisch: ständig vorhanden
2) Für alle zugängliches Trinkwasser
Um das Risiko eines Ausbruchs von wasserbedingten Krankheiten zu verringern, sind der Zugang zu sauberem Wasser und eine grundlegende Hygiene unerlässlich.
Wasser ist ein Lebenselixier, aber verunreinigtes Wasser kann tödliche Folgen haben. Gewisse Krankheiten, wie beispielsweise Durchfallerkrankungen, die in vielen Umgebungen zum Tod führen können, werden direkt durch mangelhafte Hygieneverhältnisse, eine gesundheitsschädigende Umwelt oder Wasser von schlechter Qualität verursacht.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) trinken zwei Milliarden Menschen regelmäßig fäkalienverseuchtes Wasser. Dadurch sind sie dem Risiko ausgesetzt sind, mit einer Vielzahl von wasserbedingten Krankheiten infiziert zu werden.
Laut WHO sterben jährlich 842.000 Menschen an Durchfallerkrankungen, die durch verunreinigtes Wasser verursacht werden. Die meisten von ihnen sind Kinder unter fünf Jahren. Durch die Installation von Trink- und Abwassersystemen könnten jedes Jahr 361.000 Todesfälle bei Kindern verhindert werden.
Um wasserbedingte Krankheiten wird weniger Lärm als gemacht als um Schusswaffen, aber sie töten noch mehr.
Mit Fäkalien verunreinigtes Wasser enthält Viren und Bakterien, die Krankheiten verursachen können, von denen einige tödlich sind. Seine Verwendung als Trinkwasser, zum Waschen von Obst und Gemüse oder zum Kochen kann zu Cholera, Typhus, Hepatitis A oder E oder zu blutigen Durchfallerkrankungen, wie beispielsweise Ruhr, führen.“
Die Antwort von Ärzte ohne Grenzen
Der wirksamste Weg, Durchfallerkrankungen vorzubeugen, ist es, den Menschen, denen es an sauberem Wasser fehlt, einen besseren Zugang dazu zu verschaffen.
Die Versorgung mit Trinkwasser bedeutet zunächst einmal, es zu finden. Seen und Flüsse sind die am leichtesten zugänglichen Versorgungsquellen, die aber oftmals sehr stark verschmutzt sind. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen können auch Grundwasser aufspüren, indem sie bohren oder Brunnen ausheben. Das Wasser ist nicht immer von Natur aus sauber, und deshalb muss es auf seine Qualität überprüft und gegebenenfalls durch Filtern, Klären und anschließendes Desinfizieren mit Chlor aufbereitet werden.
Dann muss es verteilt und somit zugänglich gemacht werden. In einem Flüchtlingslager beispielsweise müssen die Teams von Ärzte ohne Grenzen eine Wasserversorgungsstelle für 200 bis 250 Menschen vorsehen. Zur Aufbewahrung werden meist Kanister benutzt, die einfach zu handhaben sind und im Gegensatz zu Eimern nicht so leicht kontaminiert werden.
In Notsituationen beteiligt sich Ärzte ohne Grenzen an der Bereitstellung von sauberem Trinkwasser und der Installation von geeigneten Abwasserentsorgungssystemen. Denn Trinkwasser und Abfallentsorgung haben Priorität. Wenn es in der Nähe keine Trinkwasserquelle gibt, transportiert Ärzte ohne Grenzen Wasser mit Tankwagen zum Einsatzort und organisiert Informationskampagnen, um die Nutzung von sanitären Anlagen zu fördern und gute Hygienepraktiken zu gewährleisten.
Trinkwasser und Abwasserentsorgung sind auch für die medizinische Tätigkeit von Ärzte ohne Grenzen unerlässlich. Die Teams vergewissern sich, dass in allen Gesundheitseinrichtungen, in denen wir arbeiten, eine Trinkwasserversorgung und ein Abfallmanagementsystem vorhanden sind.
Die Arbeit der Experten für Trinkwasserversorgung, Hygiene und Abwasserentsorgung ist nicht nur technischer Art, sondern zielt auch darauf ab, Krankheiten, die auf eine verschmutzte Umgebung zurückzuführen sind, zu verhindern. Die Abwasserentsorgung eines Standorts trägt dazu bei, den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern, und schafft somit bestmögliche Arbeitsbedingungen für das medizinische Personal.“
Wassergebundene Krankheiten
Cholera wird durch ein Bakterium übertragen und breitet sich über verunreinigtes Wasser oder Lebensmittel aus. Zu den Symptomen gehören Durchfall und Erbrechen, die einen hohen Flüssigkeitsverlust zur Folge haben können. Ohne Behandlung können die Patienten innerhalb weniger Stunden sterben. Cholera-Epidemien treten vor allem in Gebieten mit schlechter Trinkwasserversorgung und unzureichenden hygienischen Bedingungen auf.
Es handelt sich um eine Krankheit, die ohne Behandlung 50 Prozent der Infizierten tötet. Bei angemessener medizinischer Versorgung sinkt die Sterblichkeitsrate jedoch auf nur 2 Prozent. Im Falle einer Epidemie ist die Cholera-Impfung ein wirksames Mittel, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen. Mit einer guten Hygienepraxis und einem wirksamen Abwassersystem ist es auch leicht, sich vor der Krankheit zu schützen. 2019 behandelte Ärzte ohne Grenzen 47.000 Cholerapatienten in acht Ländern (Burundi, Kamerun, Äthiopien, Mosambik, DRK, Sudan, Tansania, Jemen).
Malaria wird durch infizierte Stechmücken übertragen. Die schwere Krankheitsform schädigt die Organe und führt unbehandelt zum Tod. In vielen Regionen der Erde gibt es jahreszeitlich bedingte Höhepunkte der Malaria mit einer sehr hohen Zahl an Todesfällen. 2019 behandelte Ärzte ohne Grenzen 2.638.200 Malariapatienten in 21 Ländern (Burkina Faso, Burundi, Kambodscha, Kamerun, Guinea, Guinea-Bissau, Indien, Kenia, Liberia, Mali, Mosambik, Niger, Nigeria, ZAR, DRK, Sierra Leone, Sudan, Südsudan, Tschad, Tansania, Venezuela).
Um ein Beispiel zu nennen: 2019 bekämpfte Ärzte ohne Grenzen zwei schwere Malaria- und Choleraepidemien in ganz Burundi. Das Land erlebte 2019 einen deutlichen Anstieg der Malariaerkrankungen (von Januar bis Dezember wurden fast neun Millionen Fälle gemeldet) und eine beispiellose Choleraepidemie. Die MSF-Teams reagierten mit der Behandlung von 174.500 Malaria- und 1.080 Cholerafällen.
3) Medikamente dürfen kein Luxus sein
Atemwegserkrankungen, die häufig auf Pneumokokkeninfektionen zurückzuführen sind, lassen sich potenziell durch Impfungen verhindern. Die Integration des Pneumokokken-Impfstoffs in die Impfpläne kommt leider nur langsam voran, was vor allem auf seine hohen Kosten zurückzuführen ist. So ist der Impfstoff PCV13, der gegen Lungenentzündung schützt, wegen seines unerschwinglichen Preises nur in einem Drittel der weltweiten Impfprogramme enthalten.
Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen haben seit langem Schwierigkeiten, wirksame und erschwingliche Behandlungen für ihre Patienten zu erhalten. Zunehmend frustriert darüber, dass Menschen an heilbaren Krankheiten starben, begann Ärzte ohne Grenzen Ende der 1990er Jahre, das Problem zu dokumentieren und sich Patientengruppen anzuschließen, um die Situation nachdrücklich anzuprangern und Maßnahmen zu fordern.
1999 hat Ärzte ohne Grenzen die Kampagne „Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten“ (heute: „Medikamentenkampagne“) ins Leben gerufen, um die politischen und rechtlichen Barrieren zu beseitigen, die den Menschen in den Gemeinschaften, in denen wir arbeiten, und darüber hinaus den Zugang zu den benötigten Behandlungen erschweren. Im selben Jahr wurde Ärzte ohne Grenzen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und setzte diese Gelder im Rahmen der Kampagne ein, um die Behandlungen zu verbessern und die Forschung über vernachlässigte Krankheiten zu fördern.
Damals wütete auf der ganzen Welt die HIV/AIDS-Epidemie. Lebensrettende antiretrovirale Medikamente sorgten in den reichen Ländern dafür, dass AIDS zu einer beherrschbaren chronischen Krankheit wurde, aber in den anderen Ländern waren sie unerschwinglich. Darüber hinaus waren die Behandlungen für vernachlässigte Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria und Schlafkrankheit entweder nicht vorhanden, unwirksam, toxisch oder für die Umgebungen, in denen wir arbeiten, ungeeignet.
20 Jahre lang arbeitete Ärzte ohne Grenzen mit der Zivilgesellschaft zusammen, um sicherzustellen, dass Pharmaunternehmen, Regierungen und andere Akteure das Leben und die Gesundheit der Menschen vor Patente und Profite stellen. Die Bewegung für einen besseren Arzneimittelzugang hat das Patentmonopol gebrochen und den Weg für die Produktion von Generika und den Wettbewerb für antiretrovirale Medikamente geebnet. Infolgedessen sind die Preise innerhalb von zehn Jahren um 99 Prozent gefallen. Dieser Erfolg und andere für Hepatitis C, Malaria, Lungenentzündung, Schlafkrankheit und Tuberkulose werden auf diesen Seiten nachgezeichnet.
Allerdings werden viele neue Medikamente, Diagnosewerkzeuge und Impfstoffe zu immer höheren Preisen verkauft, die Monopole verstärken sich, und uns fehlen noch immer die Mittel, um die zunehmende Antibiotikaresistenz und Epidemien wie Ebola und Covid-19 zu bekämpfen. Mit der Medikamentenkampagne setzt sich Ärzte ohne Grenzen weiterhin für eine Neugestaltung des medizinischen Innovationsökosystems ein, um den gesundheitlichen Bedürfnissen unserer Patienten besser gerecht zu werden. Da die medizinische Forschung weitgehend von den Regierungen finanziert wird, fordert Ärzte ohne Grenzen zum Beispiel eine größere Transparenz hinsichtlich der Kosten für die Arzneimittelentwicklung und -herstellung sowie eine stärkere Rolle des öffentlichen Sektors, um sicherzustellen, dass die Medikamente erschwinglich und zugänglich sind.
Die Krise im Zusammenhang mit dem Arzneimittelzugang und der Innovation betrifft nicht mehr nur die Entwicklungsländer, sondern ist zu einem weltweiten Problem geworden. Unser Slogan „Medikamente dürfen kein Luxus sein“ ist nach wie vor aktuell. Gemeinsam müssen wir unsere Bemühungen intensivieren, um den Zugang der Bevölkerungen zu lebenswichtigen Gesundheitsinstrumenten zu verbessern.
Die Gesundheit der Menschen muss zur Priorität werden und vor den Gewinnen stehen.
In einem Land wie Luxemburg erkranken Kinder im Allgemeinen nicht mehr an Lungenentzündung, weil sie die Kinderschutzimpfung erhalten. Aber weltweit ist die Lungenentzündung immer noch die häufigste Todesursache bei Kindern. Es besteht eine enorme Kluft zwischen diesen beiden Realitäten, und genau darum sind Impfprogramme und -kampagnen so wichtig. Aber die Länder selbst müssen in der Lage sein, die Impfstoffe zu finanzieren, und der gegen Lungenentzündung ist einer der teuersten, die je auf den Markt gebracht wurden.
Bis vor kurzem musste sogar Ärzte ohne Grenzen exorbitante Summen für diesen Impfstoff bezahlen. Nach der MSF-Kampagne „A Fair Shot“ kündigten Pfizer und GSK [die beiden Hauptproduzenten dieses Impfstoffs] Ende 2016 schließlich an, dass sie humanitären Organisationen für Notfälle einen Preis von rund 9 Dollar pro Kind anbieten würden. Das ist eine deutliche Senkung im Vergleich zu den früher verlangten Preisen.
Damit können wir mehr Kinder schützen, die in Konfliktgebieten oder anderen Regionen leben, in denen humanitäre Organisationen tätig sind.
Aber Pfizer und GSK sollten den Preis für den Pneumokokken-Impfstoff auch generell und überall senken, denn viele Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen können diesen Impfstoff nicht in ihre Impfpläne für Kinder aufnehmen, weil er zu teuer ist.
Die medizinische Innovation und die Krise beim Arzneimittelzugang nehmen eine immer globalere Dimension an, da einige der Herausforderungen, mit denen wir seit Jahrzehnten in über 70 Ländern konfrontiert sind, heute sowohl in Entwicklungs- als auch in Industrieländern bestehen. Es ist an der Zeit zuzugeben, dass es mit den derzeitigen Modellen für die Entwicklung und den Verkauf von Medikamenten unmöglich ist, die notwendigen Behandlungen zu einem erschwinglichen Preis zu liefern. Die Regierungen und die Forschungsgemeinschaft müssen sich Gehör verschaffen und mutige Lösungen für ein globales Problem vorschlagen. Oder anders und einfach ausgedrückt: „Business as usual" wird verheerend sein.“
Els Torreele, Leiterin der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen
4) Versorgung von Kriegsverletzungen in Gebieten mit bewaffneten Konflikten
Belagerte und bombardierte Städte, direkt bedrohte Zivilisten: Die bewaffneten Konflikte haben sich seit dem Zweiten Weltkrieg völlig verändert. Heute finden die meisten Konflikte innerhalb von Landesgrenzen und zunehmend mitten in Wohngebieten statt. Die Bevölkerungen neigen dazu, mehr innerhalb ihrer eigenen Länder zu fliehen und seltener Grenzen zu überschreiten.
Kriege vertreiben nicht nur Hunderttausende von Menschen, sondern führen auch dazu, dass:
- der Betrieb in bereits geschwächten Gesundheitszentren gestört wird
- die Versorgungswege für Nahrungsmittel und Medikamente zerstört werden
- Unterernährungs- und Epidemiegebiete geschaffen werden.
Bevölkerungen, die Opfer von Konflikten sind, brauchen umfassende medizinische Hilfe. Denn Krankheiten wie Malaria, Atemwegsinfektionen und Durchfall hören während eines Konflikts nicht auf. Im Gegenteil, die Bevölkerungen können angesichts der prekären Lebensbedingungen sogar noch stärker von solchen Krankheiten betroffen sein, beispielsweise wenn sie in den Busch fliehen müssen. Die Frauen müssen auch in der Lage sein, sicher und unter den bestmöglichen medizinischen Bedingungen zu entbinden.
In einem Kriegsgebiet gibt es nicht nur einen erhöhten Pflegebedarf, sondern möglicherweise auch ein reduziertes Angebot, weil die Gefahr besteht, dass die Gesundheitseinrichtungen zerstört oder verwüstet werden und nicht mehr richtig arbeiten können. Daher ist es wichtig, die medizinische und humanitäre Hilfe für Bevölkerungen in Konfliktgebieten massiv zu erhöhen.
In diesen Situationen von Unsicherheit und Gewalt konzentriert sich die Intervention von Ärzte ohne Grenzen hauptsächlich auf die medizinische Hilfe für die Bevölkerung und die chirurgische Versorgung von Kriegsverletzten oder Gewaltopfern, aber auch von Frauen, die vor einer Notfallentbindung stehen.
Daher ist es notwendig, verschiedene Arten von Operationen durchzuführen:
- Die Notfallchirurgie, bei der es darum geht, Leben zu retten, ist eine mobile, reaktive Chirurgie. Eins der Probleme, mit denen die Teams von Ärzte ohne Grenzen in Kriegssituationen zu kämpfen haben, besteht darin, die Zeit und den Abstand zwischen Chirurgen und Patienten zu minimieren, um ihre Überlebenschancen zu verbessern.
- Die Wiederherstellungschirurgie: Die OP-Teams kümmern sich um Patienten, die kriegsbedingte Folgeschäden haben, weil sie entweder zum Zeitpunkt ihres Unfalls nicht angemessen versorgt wurden oder unter katastrophalen Bedingungen operiert wurden.
- Die allgemeine Chirurgie für Bevölkerungsgruppen, die keinen Zugang zur Versorgung haben. Die Missionen von Ärzte ohne Grenzen konzentrieren sich zwar regelmäßig auf die Kriegschirurgie, umfassen aber auch allgemeine Chirurgie und Geburtshilfe (Leistenbruch, Kaiserschnitt).
Angesichts der Zerstörung von medizinischen Einrichtungen und der häufigen Flucht des Gesundheitspersonals ist es für Ärzte ohne Grenzen unerlässlich, diesen Bevölkerungsgruppen Zugang zur medizinischen Grundversorgung verschaffen zu können. Dies kann durch die Einrichtung einer Krankenstation, aber auch durch die Organisation mobiler Kliniken gewährleistet werden, die den Vorteil haben, bei Bevölkerungsbewegungen den Standort wechseln zu können.
Kinder sind allzu oft die ersten Opfer von bewaffneten Konflikten. Nach Angaben der UNO leben über 230 Millionen Kinder (das heißt etwa jedes zehnte Kind weltweit) in Gebieten oder Ländern, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind. Daher darf die Grundversorgung von Kindern nicht vernachlässigt werden. Sie sind beispielsweise allzu oft am anfälligsten für Epidemien.
Der medizinische Bedarf dieser Patienten [die während der Demonstrationen des „Großen Rückkehrmarsches“ in Gaza zwischen März 2018 und Dezember 2019 durch scharfe Munition verwundet wurden] ist nach wie vor immens. Viele benötigen komplexe Eingriffe, und ihre Behandlung dauert in der Regel Monate oder sogar Jahre. Bei einigen wurden mehrere Zentimeter Knochen abgesplittert und größere Körperpartien zerfetzt. Sie wurden bereits mehrfach operiert, werden aber immer noch mit Metallfixateuren behandelt, die andauernde Schmerzen verursachen.“
Christophe Garnier, Koordinator des Projekts von Ärzte ohne Grenzen in Gaza
5) Bestimmte Krankheiten dürfen nicht vernachlässigt werden
Chagas-Krankheit, Buruli-Ulkus, Schlafkrankheit, viszerale Leishmaniose, Malaria - auch wenn einige dieser Tropenkrankheiten der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind, betreffen sie doch jedes Jahr Millionen von Menschen.
Manche von ihnen sind tödlich, andere verursachen schwere Verletzungen, sie treten hauptsächlich in Entwicklungsländern auf und werden im Allgemeinen von der medizinischen Forschung und der pharmazeutischen Industrie vernachlässigt.
Innovationen sind notwendig, um wirksame Werkzeuge zur Verfügung zu haben
Kala-Azar - „schwarzes Fieber“ auf Hindu - ist in den Industrieländern weithin unbekannt, obwohl die Krankheit auch im Mittelmeerraum vorkommt. Die parasitäre Tropenkrankheit wird durch Sandmückenstiche übertragen.
Schätzungen zufolge erkranken jedes Jahr zwischen 50.000 und 90.000 Menschen an der Krankheit, 90 Prozent von ihnen in Brasilien, Äthiopien, Indien, Kenia, Somalia und im Südsudan, wo die Krankheit endemisch ist. Die Symptome von Kala-Azar sind Fieber, Gewichtsverlust, Vergrößerung der Leber und der Milz, Blutarmut und ein geschwächtes Immunsystem.
Unbehandelt endet Kala-Azar fast immer tödlich. In Asien gibt es Schnelltests, um die Krankheit zu diagnostizieren. Diese Tests sind jedoch für Afrika nicht empfindlich genug. Dort ist oft eine mikroskopische Untersuchung von Gewebeproben der Milz, des Knochenmarks oder der Lymphknoten nötig. Für diese invasiven, schmerzhaften Verfahren sind Ressourcen notwendig, die in Entwicklungsländern nur selten verfügbar sind.
Heute wird in Asien das liposomale Amphotericin B allein oder in Kombination mit einem anderen Medikament als Erstbehandlung eingesetzt. Es ist sicherer als frühere Behandlungen und muss nicht so lange eingenommen werden wie sie, aber seine intravenöse Verabreichung stellt ein Hindernis für den Einsatz in den Zentren für die primäre Gesundheitsversorgung dar. Häufig wird Miltefosin, ein oral verabreichtes Medikament, hinzugefügt, um die Behandlung der Patienten zu optimieren. In Afrika ist die beste verfügbare Therapie nach wie vor eine Kombination aus pentavalenten Antimonen und Paromomycin. Aber sie ist giftig und erfordert eine Reihe schmerzhafter Injektionen.
Koinfektionen von Kala-Azar und HIV sind ebenfalls eine große Herausforderung, da sich diese beiden Krankheiten gegenseitig in einem Teufelskreis beeinflussen und das Immunsystem angreifen und schwächen.
Den Zugang zu vorhandenen Werkzeugen fördern
Oftmals existieren Behandlungen, doch die Menschen, die sie benötigen, haben keinen Zugang dazu. So gibt es zwar wirksame und erschwingliche Behandlungsmöglichkeiten für Schlangenbissopfer, aber für die meisten Betroffenen sind sie nicht zugänglich.
Die Weltgesundheitsorganisation hat Schlangenbisse in die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheit aufgenommen. Jedes Jahr werden rund 2,7 Millionen Menschen von Schlangen gebissen, von denen über 100.000 sterben und 400.000 dauerhaft behindert oder entstellt bleiben.
Aufgrund ihres geringeren Körpergewichts sind Kinder besonders anfällig, an den Folgen eines Giftschlangenbisses zu sterben oder Behinderungen davonzutragen.
Schlangenbisse verursachen jedes Jahr mindestens 40 Mal mehr Todesfälle und mindestens 60 Mal mehr schwere, dauerhafte Behinderungen als Landminen.
Gegengifte, so genannte Antivenine, sind die einzige wirksame Behandlung von Schlangenbissen. Qualitativ hochwertige Gegengifte ermöglichen es, den schädlichen Wirkungen von Schlangengift vorzubeugen oder entgegenzuwirken und damit Leben zu retten. Intravenös verabreichte Flüssigkeiten und Beatmungsgeräte sind ebenfalls von essentieller Bedeutung, stehen aber nur selten zur Verfügung.
Viele Leben auf der ganzen Welt könnten gerettet werden, wenn die Opfer von Schlangenbissen sofortigen Zugang zu einer wirksamen Versorgung hätten.
Es ist unerlässlich, dass sich Forschung und Entwicklung dem öffentlichen Sektor zuwenden, da es unmöglich ist, sich auf das Gesetz des Marktes zu verlassen, um wirksame, zugängliche und erschwingliche Instrumente für die betroffenen Bevölkerungsgruppen zu erhalten. Wir erinnern daran, dass der erste Schritt für die weltweite Gesundheitssicherheit die individuelle Gesundheit ist, auch für die kränksten und schwächsten Menschen.“